Untersuchung des Tideeinflusses mittels GNSS-Messung

Mit fünf GNSS-Ausrüstungen und Tachymeter war die ALLSAT im März in der HafenCity Hamburg unterwegs. Ziel war die Bestimmung von Koordinaten eines Festpunktfeldes. Dabei sollte auch eine Untersuchung des Tideeinflusses auf das Festpunktfeld durchgeführt werden. Die Auswertung der GNSS-Daten zeigt sehr interessante Bewegungen innerhalb des Festpunktfeldes über den betrachteten Beobachtungszeitraum.

Die HafenCity Hamburg ist Europas größtes innerstädtisches Stadtentwicklungsvorhaben. Auf einer Gesamtfläche von 157 Hektar soll bis ca. 2030 ein lebendiger Stadtteil entstehen, der die lokalen Bedürfnisse und hohen Anforderungen an Urbanität und Nachhaltigkeit gleichermaßen berücksichtigt. Mittlerweile sind die Baustellen bis an die Elbbrücken im Osten der HafenCity vorgerückt (s. Abb. 1).

HafenCity Hamburg.
Abb. 1: Übersicht HafenCity Hamburg. Messgebiet nahe Bahnhof “Elbbrücken” rot eingekreist.
Bild: © HafenCity Hamburg GmbH/Michael Korol

Vor allem im Hinblick auf das direkt an das Baufeld angrenzende Bahnhofsbauwerk der Station “Elbbrücken”, sind hochgenaue Vermessungsarbeiten für Beweissicherung und Deformationsmonitoring essenziell. Mit diesen Aufgaben sind die “SBI Beratende Ingenieure für Bau – Verkehr – Vermessung GmbH” aus Hamburg betraut und haben dort ein örtliches Festpunktfeld erstellt. Es stellte sich dabei die Frage, inwiefern das bestehende Festpunktfeld den hohen Genauigkeitsanforderungen von wenigen Millimetern gerecht werden kann. Einerseits wurden Instabilitäten einiger Festpunkte aufgrund der Bauarbeiten angenommen, andererseits stand die Vermutung im Raum, dass ein maßgeblicher Einfluss der Tide vorliegen könnte. Mit der Untersuchung dieser Umstände wurden die GNSS-Spezialisten der ALLSAT beauftragt.

Messkonzept der GNSS-Messung

Die präzise Bestimmung der Festpunktkoordinaten und die Untersuchung eines möglichen Tideeinflusses wurde in einer zweitägigen GNSS-Messkampagne durchgeführt. Das zu untersuchende Festpunktfeld umfasst fünf vermarkte Bodenpunkte. Diese wurden mit einer geodätischen GNSS-Ausrüstung besetzt und darauf simultan GNSS-Rohdaten aufgezeichnet.

Für die GNSS-Beobachtungen kamen die modernen Empfänger JAVAD Delta-3 und JAVAD Triumph-3 sowie Choke-Ring-Antennen des Typs JAVAD RingAnt-G3T zum Einsatz (s. Abb. 2). Diese Ausrüstung eignet sich aufgrund ihrer Performance und der Multipath-Reduktion erfahrungsgemäß hervorragend für präzise Passpunktbestimmungen auch unter schwierigen Bedingungen.

GNSS-Messung auf einem Festpunkt zur Untersuchung des Tide-Einflusses
Abb. 2: GNSS-Messung auf einem Festpunkt

Für die Untersuchung eines möglichen Tideeinflusses sind langzeit-statische GNSS-Messungen zu unterschiedlichen Phasen der Gezeiten notwendig. Für die Session-Planung im Vorfeld wurde daher eine Vorausberechnung der Gezeiten berücksichtigt. Außerdem wurde die GNSS-Messung durch eine tachymetrische Satzmessung innerhalb des Festpunktfeldes ergänzt, da ein Festpunkt sehr starke Abschattungen durch die bereits auf den Baufeldern errichteten Gebäude aufweist.

GNSS-Datenauswertung

Netzauswertung

Die Auswertung der GNSS-Daten erfolgte mit der Software WaSoft. Für die Bestimmung der Festpunktkoordinaten wurde eine Netzauswertung mit WaPNet durchgeführt. Die Lagerung des Netzes erfolgte über die vier SAPOS-Stationen in Hamburg, welche in die WaPNet Prozessierung einbezogen wurden.

Aus der Messkampagne standen drei GNSS-Sessions mit einer simultanen Aufzeichnungsdauer von vier bis fünf Stunden zur Verfügung. Abbildung 3 zeigt die Zeiträume der simultanen GNSS-Beobachtungen in blau. Der gelbe Graph zeigt den tatsächlichen Pegelstand der Messtelle “Hamburg St. Pauli”. In rot sind die Zeitpunkte der zwei tachymetrischen Satzmessungen eingezeichnet.

GNSS-Messzeiträume und tachymetrische Messungen mit tatsächlichen Pegeldaten zur Untersuchung des Tide-Einflusses.
Abb. 3: GNSS-Messzeiträume und tachymetrische Messungen mit tatsächlichen Pegeldaten.

Für die Netzauswertung spielt der noch zu untersuchende Einfluss der Tide keine Rolle. Eine mögliche Bewegung der Festpunkte würde aufgrund der Mittelung über den Beobachtungszeitraum sowie über die Mittelung der drei GNSS-Sessionen weitgehend eliminiert. Die GNSS-Daten des stark abgeschatteten Festpunktes ließen sich zwar auswerten, zeigten allerdings größere Differenzen zwischen den GNSS-Sessionen, sodass die Koordinate aus der tachymetrischen Messung verwendet wurde. Für vier der fünf beobachteten Festpunkte existierten bereits Koordinaten, sodass ein Vergleich der Positionen aus unterschiedlichen Messkampagnen stattfinden konnte.

In Abbildung 4 sind die Differenzen aus alter und neuer Koordinate durch Verschiebungsvektoren dargestellt. Die Lageverschiebung ist mit roten Pfeilen, die Höhenänderung mit grünen Pfeilen dargestellt.

3D-Verschiebung der Festpunkte anhand der Koordinatendifferenz aus alter und neuer Messung.
Abb. 4: 3D-Verschiebung der Festpunkte anhand der Koordinatendifferenz aus alter und neuer Messung. Vektoren nicht maßstäblich zur Hintergrundkarte

Es wird deutlich sichtbar, dass sich die Festpunkte über den bisherigen Bauzeitraum unterschiedlich stark bewegt haben. Zwei der Punkte zeigen eine starke Absenkung von 3,7cm respektive 1,6cm. Außerdem weisen diese Punkte eine Lageverschiebung von ca. 1,5cm nach Süd-West auf, also in Richtung Elbe. Diese Bewegungen lassen sich durch die intensiven Baumaßnahmen auf den umliegenden Baufeldern erklären.

Da für die bestehenden Festpunkte keine Sollkoordinaten zur Verfügung stehen, kann die Genauigkeit lediglich aus den Doppelmessungen abgeschätzt werden. Hierbei ist es wichtig, dass die Doppelmessungen weitgehend unabhängig voneinander sind. In der durchgeführten Messkampagne kann diese Annahme getroffen werden, da die Positionen der Festpunkte an unterschiedlichen Tagen und mit unterschiedlichem GNSS-Equipment aufgenommen worden sind. Zudem wurde das Stativ neu aufgebaut und die Antenne erneut horizontiert sowie zentriert. Für diese Messkampagne ergibt sich eine Standardabweichung aus gleichgewichteten Beobachtungsdifferenzen für die Einzelmessung von ca. 5mm für die Lage und 7mm für die Höhe.

Einfluss der Tide

Für die Untersuchung eines möglichen Einflusses der Tide auf die Positionen der Einzelpunkte mussten die Auswerteperioden verkürzt werden. Eine Netzauswertung mit WaPNet ist für lange Beobachtungszeiten optimiert, sodass dieser Auswerteansatz für die Untersuchung nicht in Frage kam. Stattdessen wurden aus den vier SAPOS-Stationen jeweils virtuelle Referenzstationen (VRS) in die Nähe der Festpunkte gerechnet. Anschließend wurden in Zeitintervallen von jeweils einer Stunde kurze Basislinien von diesen VRS zu den Festpunkten prozessiert. Betrachtet wurde im ersten Schritt die Höhenkomponente der Punkte, da diese von einem Tideeinfluss am stärksten betroffen sein dürfte.

Abbildung 5 zeigt den tatsächlichen Pegelstand gemeinsam mit den Höhen der Festpunkte aus den stündlichen Auswertungen. Alle Werte wurden normalisiert, um diese in einer Grafik darstellbar zu machen.

Tideeinfluss: Normalisierte Höhenwerte der Festpunkte aus Stundenlösungen im Vergleich zu den Pegeldaten
Abb. 5: Normalisierte Höhenwerte der Festpunkte aus Stundenlösungen im Vergleich zu den Pegeldaten

Bereits auf den ersten Blick lässt sich eine Bewegung der Festpunkte erkennen. Dabei besitzen alle Festpunkte ein ähnliches Bewegungsverhalten. Auch die Größenordnung dieser Bewegung, die sich aufgrund der Normalisierung im Diagramm nicht mehr ablesen lässt, ist recht ähnlich und beträgt je nach Punkt 0,9-1,4cm.

Auffällig ist weiterhin, dass die Bewegung indirekt proportional zum Pegelstand ist. Die Korrelationskoeffizienten liegen zwischen -0,47 und -0,89, sodass sich für alle Höhenzeitreihen eine deutliche bis starke negative Korrelation feststellen lässt. Das heißt, dass sich die Höhe des Punktes verringert, wenn sich der Wasserstand erhöht. Eine mögliche Ursache für dieses Bewegungsverhalten ist die gezeitenbedingte Ozeanauflast (Ocean tide loading). Die Ursache dieser Bewegung wurde allerdings im Rahmen des Projektes nicht weiterführend untersucht, sodass es bei einer Vermutung bleibt. Ein Tideeinfluss auf die Lage der Festpunkte konnte nicht nachgewiesen werden. Falls ein Einfluss besteht, wäre dieser deutlich kleiner als die erreichte Genauigkeit von 5mm in der Lage.

Schlussfolgerung

Die langzeit-statische GNSS-Messung zur Bestimmung der Festpunktkoordinaten hat gezeigt, dass Festpunkte in aktiven Baufeldern nicht über lange Zeit als stabil angesehen werden sollten. Dies kann zu Problemen bei baubegleitenden Vermessungen oder Beweissicherungen führen. Eine regelmäßige Kontrolle über unabhängige GNSS-Messungen wird daher empfohlen. Die absolute Genauigkeit einer solchen GNSS-Messung kann mit 5mm für die Lage und 7mm für die Höhe abgeschätzt werden.

JAVAD RingAnt-G3T mit Blick auf die Norderelbe
Abb. 6: JAVAD RingAnt-G3T mit Blick auf die Norderelbe

Mit der Untersuchung des Tideeinflusses auf das Festpunktfeld konnte nachgewiesen werden, dass die Höhenwerte der Festpunkte einer Bewegung von ca. 1,4cm unterliegen, welche indirekt proportional zur Tide ist. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass sich die Netzpunkte unterschiedlich stark oder zu unterschiedlichen Zeitpunkten bewegen, sodass ein Einfluss der Tide innerhalb des untersuchten Netzes eine untergeordnete Rolle spielt.


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